Sali Kupfermann
Sali (Salomon) Kupfermann wurde am 9. Juni 1913 in Barmen geboren. Seine Eltern stammten aus Polen: Der 1879 geborene Emil Ernst Kupfermann aus Rzeszów und die 1889 geborene Rose, geb. Sternberg aus Jaroslaw. Damit besaßen auch Sali und sein älterer Bruder Moritz die polnische Staatsangehörigkeit.
Sali Kupfermanns Vater betrieb in der Werléstraße 18 in Heckinghausen ein Möbelgeschäft. Vermutlich war Josef Kupfermann aus Kolomea, der in der Werner-Hanemann-Straße 50 ebenfalls ein Möbelgeschäft führte, ein Verwandter, evt. sogar ein Bruder seines Vaters, also sein Onkel. Beide Männer sind im nationalsozialistischen „Boykottheft“ als jüdische Gewerbetreibende auf S. 16 mit ihren Geschäftsadressen aufgeführt.
Wie alle Juden mit polnischer Staatsangehörigkeit betraf auch die Kupfermanns der Ausweisungsbefehl vom 28. Oktober 1938. In einer unangekündigten Verhaftungsaktion wurden aus dem gesamten Deutschen Reich rund 17000 Menschen in den Grenzort Zbąszyń abgeschoben. Die polnische Regierung hatte der deutschen das Ultimatum gestellt, dass die Pässe der in Deutschland lebenden polnischen Juden ihre Gültigkeit verlieren würden, sollten sie seit mehr als fünf Jahren nicht mehr in Polen leben. Da die deutsche Regierung unbedingt verhindern wollte, dass die betreffenden Menschen staatenlos werden würden, schob man sie zwangsweise auf das polnische Territorium ab.
Sali Kupfermanns Bruder Moritz, der diese Aktion als 27-jähriger miterlebte, hat schon im November 1938 über das, was ihm während der „Polenaktion“ passierte, berichtet. Das „Jewish Central Information Office (JCIO)“ in Amsterdam hatte nämlich unmittelbar nach dem Novemberpogrom damit begonnen, Augenzeugenberichte aus allen Teilen des Reiches zusammenzutragen. Wegen der zeitlichen Nähe muss Kupfermanns Bericht auch im Detail als zuverlässige Quelle im Blick auf die genannten Orte, Zahlen und das Geschehen gelten. Ihn hatten Verhaftung und Ausweisungsverfügung auf dem Polizeirevier ereilt:
Am 28. Oktober war ich in Elberfeld, wo ich geschäftlich zu tun hatte. Ich ging dann zur Fremdenpolizei, um meinen Aufenthalt, der am 1. November ablief, verlängern zu lassen, um meine Auswanderung nach Nordamerika weiter betreiben zu können. Der Beamte kam nach 5 Minuten zurück und schickte mich in Begleitung eines anderen Beamten angeblich zum Polizeipräsidenten. Ich wurde aber ins Polizeigefängnis gebracht. Der Gefängnisbeamte erklärte: „Sie kommen in Abschiebungshaft.“ […] Nach einer Stunde waren schon zehn Polen in der Zelle. Erst dann wurden die Personalien aufgenommen. Die Pässe wurden einbehalten.
In Elberfeld waren etwa 200 Polen verhaftet, Männer, Frauen und Kinder. […] Die Frauen wurden dann von den Männern getrennt, sie erhielten ihre Pässe zurück und wurden entlassen.
In geschlossenen Polizeiwagen und scharf bewachten Bussen wurden die in Abschiebehaft sitzenden Juden schließlich von den beiden Polizeigefängnissen in Barmen und Elberfeld zum Steinbecker Bahnhof verbracht, wo gegen 19 Uhr an diesem Freitagabend der aus Düsseldorf kommende Zug einlief, in dem zwei oder drei Waggons für die Wuppertaler freigehalten worden waren. Der Bahnsteig war abgeriegelt, SS-Männer mit aufgepflanztem Bajonett an den Gewehren standen Wache und begleiteten dann auch den Transport. Ungefähr 130 Wuppertaler Juden und Jüdinnen (47 Familien) mussten den Zug besteigen. Moritz Kupfermann gab Auskunft über die Route und die Bedingungen im Zug:
Je 40 kamen dann in einen 3. Klasse-Wagen. Von den Beamten wurden wir anständig behandelt. Jeder Wagen bekam Wurstbrote und eine grosse Kanne Kaffee. [Die Verpflegung wurde in allen bekannten Fällen von der jüdischen Gemeinde bereitgestellt.] Die Wagen wurden dann verschlossen. Auf den Stationen, durch die wir fuhren, durfte kein Fenster geöffnet werden. Es ging über Hannover, Berlin, Frankfurt a. d. Oder nach Neu-Bentschen. Dort wurden wir ausgeladen und in einen polnischen Zug gesetzt. […] Sonnabend, den 29. Oktober um ½ 8 Uhr kamen wir in Alt-Bentschen an.
Zbąszyń oder „Neu-Bentschen“ lag noch auf deutschem, „Alt-Bentschen“ bereits auf polnischem Territorium.
Bis zum Nachmittag des Samstags, 29. Oktober 1938 waren in Zbąszyń innerhalb weniger Stunden insgesamt rund 6.000 Personen angekommen, überwiegend aus Transporten aus dem Nordwesten, Westen und Südwesten des Deutschen Reichs. Weil die polnischen Beamten an Grenze, Zollstation und Bahnhof keine Informationen hatten, herrschten chaotische Zustände. […] Frauen mit kleinen Kindern und Kinderwagen, gebrechliche alte Menschen – auf niemanden wurde Rücksicht genommen. Als sich die Lage am Abend des 29. Oktober weitgehend beruhigt hatte und fast alle Abgeschobenen die Baracken in Zbąszyń erreicht hatten, lagen entlang der Wege und verstreut auf den Wiesen Hunderte in Panik und Todesangst zurückgelassene Gepäckstücke. […] Hilfe war nicht da, weil Polen angeblich nicht unterrichtet war über die deutsche Aktion. Wir wurden alle auf einen großen Platz geführt. Nachmittags gegen 5 Uhr hieß es, man müsste sich registrieren lassen und angeben, wo man Verwandte in Polen hätte, da man wahrscheinlich schon am nächsten Tag dorthin fahren könnte.
Es waren dann sechs polnische Beamte zum Aufnehmen der Personalien da. Der Ansturm war aber so heftig, dass der Tisch mit den Beamten umfiel, und es wurde nicht weiter aufgenommen. Die Bevölkerung war sehr mitfühlend, sie brachte Stroh, und jeder versuchte, etwas Stroh zu bekommen, um in den Pferdebaracken zu schlafen. Der Rest, der nicht in die Baracken hineinging, blieb in den Wartesälen des Bahnhofs oder in der Bahnhofshalle. Sonntag, Montag und Montagnacht wurde weiter registriert, auch dann war noch keine Hilfe da, und wir versuchten, selbst etwas Ordnung zu schaffen.
Montagmorgen hieß es, heute kommen Leute mit Kindern und alte Leute weg zu ihren Verwandten. Diese wurden noch einmal aufgerufen und mussten gegen 2 Uhr den Bahnhof verlassen, um ihre Fahrkarten in Empfang zu nehmen, da sie gegen 4 Uhr abfahren sollten. Um ½ 4 Uhr wurde aus Warschau telefoniert, dass alles in Alt-Bentschen bleiben müsste.
Die Bevölkerung war sehr hilfsbereit und hat auch Flüchtlinge aufgenommen, teilweise ohne Bezahlung und für geringe Vergütung. Das Jüdische Hilfscomité hat dann auch dafür bezahlt. Ich fand bei einer Dame mit meinem Vater und meinem Bruder ein Zimmer.
Die Bevölkerung ist sehr deutschfeindlich. Nur in einer Wirtschaft war fast immer der deutsche Sender angestellt. Auch die polnischen Beamten waren anständig, aber böse darüber, dass kein Polnisch gesprochen wurde.
Bis Sonnabend, den 13. November, waren 7 Leute gestorben, darunter ein junges Mädchen von 19 Jahren. Zwei Kinder wurden geboren.
Sali Kupfermanns Mutter scheint erst einige Zeit nach der Abschiebung der männlichen Kupfermanns nach Polen gekommen zu sein. Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen im September 1939 wurden beide Eltern irgendwohin verbracht und gelten seitdem als verschollen.
Einzig Sali Kupfermanns Bruder Moritz gelang es, wieder nach Wuppertal zurückzukehren. Er konnte in die Niederlande emigrieren und ging später in die USA, wo er 1966 gestorben ist.
Sali Kupfermann selbst wurde offensichtlich in Polen mehrmals in verschiedenen Ghettos und Haftstätten festgehalten, zum Schluss in das Konzentrationslager Mauthausen verschleppt, wo er am 11. November 1944 umgekommen ist. Er war 31 Jahre alt.
Josef Kupfermann, eventuell sein Onkel, und dessen Frau Pauline wurden in der Vernichtungsstätte Chełmno ermordet.
Quellen
Stadtarchiv Wuppertal: Akten für Wiedergutmachung 250721, 250722 | Barkow, Ben/ Gross, Raphael/ Lenarz, Michael (Hg.): Novemberpogrom 1938: Die Augenzeugenberichte der Wiener Library, London-Frankfurt a.M. 2008