Familie Orgler: Marie Luise, Franz, Ilse, Hanas Joachim und die Eltern Adele und Kurt
Kurt Orgler
Kurt Orgler war seit Beginn des 20. Jahrhunderts beim Landgericht Wuppertal zugelassen. Ursprünglich stammte er aus dem oberschlesischen Oppeln, wo er am 30. Dezember 1873 als Sohn von Jonas und Lina Orgler geboren worden war. Er hatte noch zwei Brüder, Alfred und Fritz, und eine Schwester, Gertrud.
Kurt Orgler heiratete im Jahr 1906 Adele Blumenthal, deren Vater Liebmann in Elberfeld die orthodox-jüdischen Gemeinde „Adass Israel“ mitbegründet hatte. Kurt und Adle Orgler bekamen zwischen 1907 und 1916 vier Kinder: Hans Joachim, Ilse Eva, Wilhelm Franz Josef (später Frans) und Marie Luise. Seit 1917 lebte die Familie in ihrem eigenen Haus, einer kleinen Villa, in der Unteren Lichtenplatzer Straße 80 in Barmen. Kurt Orglers Rechtsanwaltskanzlei befand sich in der Barmer Marienstraße 5 (heut Rudolf-Herzog-Straße), später dann in der Uferstraße 6.
Kurt Orgler war vielfältig ehrenamtlich engagiert: So war er am 8. Mai 1904 Mitbegründer des Heidter Bezirksvereins und wurde gemeinsam mit seinem Freund Ernst Wahl in den ersten Vorstand gewählt. Von 1931 bis 1942 war er Vorsitzender der Synagogengemeinde Barmen und arbeitete dort auch mit Ernst Wahl zusammen, der der Repräsentanten-Versammlung vorstand. Kurt Orgler war der letzte Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Barmen.
Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten blieb Kurt Orgler als Altanwalt weiterhin beim Landgericht Wuppertal zugelassen, durfte aber ab Ende 1938 nur noch jüdische Klienten vertreten und war einer von drei Konsulenten in Wuppertal.
Die Kinder des Ehepaars Orgler konnten noch vor Kriegsbeginn aus Deutschland fliehen: Ilse Eva, die Buchhändlerin war, ging 1933 über Italien nach Argentinien, Franz, der ein erfolgreicher Sportler war, ging im Mai 1937 und Hans, wie sein Vater Rechtsanwalt, 1939 nach Schweden, und die Kindergärtnerin Marie-Luise emigrierte 1939 nach Großbritannien.
Den Eltern gelang die Auswanderung nicht mehr. Am 1. Juni 1942 mussten Kurt und Adele Orgler in die Emilstraße 3 in ein „Judenhaus“ umziehen. Nun hatten sie nur noch ein Zimmer von etwa 30 qm zur Verfügung. Bereits Mitte Juli 1942 bekam das Ehepaar die Aufforderung, zum Bahnhofe Steinbeck zu kommen, ein Brief, der von Orglers Anwaltskollegen Gustav Brück unterschrieben war – sicherlich nicht freiwillig.
Die Eltern Orgler schrieben nun einen Abschiedsbrief an ihre Kinder:
Geliebte Kinder!
Da man uns nicht die Möglichkeit gegeben hat, zu Euch zu kommen, so müssen wir heute von Euch Abschied nehmen. Wir verlieren Heim und Heimat u. Ihr das Elternhaus. Es ist uns schwer ums Herz. Wir haben stets Euer Glück im Auge gehabt. Darum soll auch in diesem Augenblick das Schwere, welches uns bevorsteht, hinter die Sorge um Euch zurücktreten. Möge Gott Euch unter seinen Schutz nehmen. Haltet treu zusammen, dann wird einer den andern stützen. Wir haben, seit wir mit der Abreise rechnen mussten, so viel Liebe erfahren, dass wir die letzten Tage nicht aus unserem Leben streichen möchten.
Wir haben uns selbst um das Packen der wenigen Sachen, welche wir mitnehmen dürfen, nicht zu kümmern brauchen. Gerda`s Mutter stand uns von früh bis Abends zur Seite. Auch einige neue Freunde, die Ihr nicht kennt. Auch wenn uns die Möglichkeit Euch zu schreiben eingeschränkt werden sollte, so werden unsere Gedanken ständig bei Euch weilen. Auf jeden Fall wird Euch Dr. Klaus B. von hier berichten, sobald er etwas von uns hört. Du kannst Dich auch an Herrn Cohnen wenden, der hier im Haus bleibt. Auch Adolf Wahl u. Dein früherer Chef bleiben hier.
Wir haben soeben noch Deinen Brief erhalten vom 15., l. Hans, u. danken Dir u. Herta für Eure teilnehmenden Worte. Auch Dein Brief l. Franz, ist angekommen, allerdings nur der ahnungslose vom 13.7. Leider werden wir den 2. von Dir nicht mehr bekommen, denn wir müssen morgen um 7 Uhr zum Bahnhof gehen und werden in Steinbeck gesammelt. Vielleicht finden wir jemand, der uns den Brief noch nachbringt, denn wir werden noch Stunden am Bahnhof warten müssen.
Wir hoffen, dass Ihr die Möglichkeit haben werdet, uns zu schreiben u. zu schicken. Onkel Alfred ist noch in O. wird aber wahrscheinlich an denselben Platz kommen, aber ohne die Kinder. Seine Briefe, die tägl. Einlaufen, machen uns den Abschied noch schwerer.
Alfred und Loren sowie Tante Else in Essen haben es fertiggebracht, von dem Transport befreit zu werden. Sie sagten sogar gestern am Teleph. Dass sie aussichtsreiche Chancen haben, heraus zu kommen.
Nun lebt wohl geliebte Kinder. Möge Gottes Segen Euch auf Euren ferneren Wegen begleiten. In inniger Liebe Vater und Mutter.
Am Montag, den 20. Juli 1942 mussten Kurt und Adle Orgler gemeinsam mit ihren Freunden Ernst und Berta Wahl, alle mit ihrem genau vorgeschriebenen Gepäck, zum Bahnhof Steinbeck fahren. Über 270 Jüdinnen und Juden aus Wuppertal und den Bergischen Nachbarstädten bestiegen einen Personenzug, der sie nach Düsseldorf brachte. Auf dem Schlachthofgelände Derendorf mussten sie alle gemeinsam improvisiert übernachten. Am nächsten Tag fuhr dann ein Transportzug mit 20 Personenwagen und rund 1000 Menschen in das Ghetto Theresienstadt.
Nach der Deportation wurden ihre Möbel zusammen mit denen des Lehrers Jonas durch den Auktionator Wiedenstritt versteigert. Schmuck, Silber, Gold und Edelmetalle hatten bereits vorher abgegeben werden müssen; wertvoller Schmuck aus dem Jahr 1701 verschwand nach Hans Orglers Aussage spurlos.
Kurt und Adele Orgler wurden am 28. Oktober 1944 von Theresienstadt in das Vernichtungslager Auschwitz weitertransportiert und dort vermutlich sofort ermordet.
Seit dem 20.7.2011 gibt es vor dem Haus Nr. 80 in der Unteren Lichtenplatzer Straße „Stolpersteine“ für Kurt und Adele Orgler.
Kurt Orgler
Bildnachweis
- Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal
- Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal
Quellen
Mauss, Susanne: Nicht zugelassen. Die jüdischen Rechtsanwälte im Oberlandesgerichtsbezirk Düsseldorf 1933-1945, Essen 2013, S. 415-418 | Archiv Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal | Stadtarchiv Wuppertal: Akten für Wiedergutmachung 618810